Arbeitsgruppe Bad Saulgau

Aufrüttelnde Geschichtsstunde im künstlerischen Ambiente des Popup Stores

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Künstlerinnen, die diese besondere Veranstaltung in diesem besonderen Rahmen ermöglicht haben.

Rückblick auf die erste Lesung - es werden weitere folgen.

Die Lesung war gut besucht.

Mit persönlichen Erinnerungen und sichtlich bewegt eröffnetet die Künstlerin Elisabeth Geray die Veranstaltung.

Ihr Vater Sepp Schmid - ein Saulgauer Urgestein - hatte am Ende des Zweiten Weltkriegs als 16-jähriger Soldat den Untergang der Steuben miterlebt. Im eiskalten Wasser der Ostsee waren die Überlebenschancen gering, an Bord und im Meer spielten sich herzzerreißende Szenen ab.
Das Schreien ist immer leiser geworden – am Schluss war Totenruhe…
Josef Schmid wurde das Ausmaß der Katastrophe erst bewusst, als er selber Ruhe gefunden hatte, noch Jahre später konnte er das Erlebte nicht verkraften. Oft wachte er nachts auf, weil der die Schreie der Ertrinkenden gehört hatte.

Da beginnt man am Herrgott zu zweifeln, da kommt man nie mehr davon los …

Das „Nicht-Vergessen“ ist wichtig, denn die Geschichte der Kriegsgeneration ist auch Teil unserer Geschichte - wie prägend die oft traumatischen Erlebnisse für unsere Eltern waren, verstehen wir, die Nachfolgegeneration durch das Lesen der Zeitzeugen-Erinnerungen nun viel besser

- wie gerne würde Lissy Geray ihren Vater noch so vieles fragen …


Manfred Restle, Barbara Spitznagel und Sabine Anderson referierten zum Pilotenmord am Haidemer Stöckle.

Im Rahmen des Buchprojekts „Geschichten hinter der Geschichte“ hat Manfred Restle zum Fall des 1944 beim Haidemer Stöckle erschossenen amerikanischen Piloten Theodore Nielsen erforscht.

Dabei ist er auf Barbara Spitznagel gestoßen, deren Großmutter sich um eine würdige Aufbahrung des Getöteten kümmerte.

Auch Sabine Anderson ist mit dem Fall vertraut, da ihr Ehemann Gary  umfassende Recherchen zum Tode seines Landsmanns durchführte.

Manfred Restle führte anhand eines Farbdrucks von Rene Magrittes Bild La Memoire in die Thematik des Abends ein. Der Titel des Werks bedeutet auf deutsch sowohl Gedenken als auch Erinnerung.

Beides trifft auf den Fall des jungen amerikanischen Piloten zu, dessen Schicksal erst mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Der 22-jährige amerikanische Oberleutnant Theodore Nielsen wurde von einem SS-Offizier erbarmungslos niedergeschossen.

Inzwischen ist hinlänglich bekannt, dass Theodore Nielsen als Teil eines Luftwaffengeschwaders München bombardierte. Auf der Rückkehr zu seiner englischen Basis wurde sein Flugzeug bei Kaufbeuren von einem Luftabwehrgeschütz getroffen und ging  über dem Haidemer Stöckle in Flammen auf. Nielsen landete per Schleudersitz nahezu unverletzt im kleinen Wäldchen und bedeutete seinen Kameraden, die über dem Wald kreisten, um seinen Absprung zu sichern, sie könnten ihren Rückflug fortsetzen. Inzwischen hatte ihn der Wilfertsweiler Landwirt Klemens Ermler entdeckt und bot ihm seine Hilfe an. Doch unvermittelt stürmte der Leiter des damaligen Lagers Sießen, Friedrich Altena, mit zwei Gesinnungsgenossen heran, bedrohte Ermler und erschoss den 22-jährigen Amerikaner, der händeringend um sein Leben flehte, aus vier Metern Entfernung. Die zufällig anwesende Krankenschwester Maria Büllinger versorgte den Schwerverletzten so gut als möglich, und im Krankenhaus kämpfte der Arzt Dr. Max Stiegele um das Leben des Leutnants.

Vergeblich.


Die Zeiten des Krieges waren bei uns nie ein vielbesprochenes Thema

Doch im Laufe dieser Recherchearbeiten taten sich bei mir Erinnerungen auf.

2004 stieß meine Mutter, Ingeborg Ströbele-Geiger in der Schwäbischen Zeitung auf einen interessanten Artikel zu einer Begebenheit unweit des Kloster Sießen. Sie erzählte mir dann die „ihre Geschichte“ - die, die sie als 9-jähriges Kind erlebt hatte.

Ihre Mutter, meine Oma Hildegard, kam weinend vom Friedhof und erzählte, dass der junge US-Soldat, der so tragisch sterben musste, nun ganz allein lieblos aufgebahrt in einem schmucklosen und Sarg lag, sie nannte es Kiste.
 

„Auch um ihn weint irgendwo eine Mutter, und wir müssen nun tun, was sie auch getan hätte.“

- soll meine Urgroßmutter gesagt haben.

Meine Familie wohnte damals in der Störckstrasse, sie hatten einen reichhaltigen Blumengarten. Die beiden Frauen haben zwei Körbe mit Rosen geschnitten, um den Sarg des jungen Mannes zu schmücken. Und sicher dachten sie dabei auch an meinen Großvater, der als Soldat an der Front war.

Diese wohlgemeinte Geste musste meine Großmutter tags darauf im sogenannten „Braunen Haus“, der Parteizentrale der NSDAP in Saulgau in der rechtfertigen. Man drohte ihr wohl auch Deportation an, sie sei eine „Schande für das Deutsche Reich“. Nur angesichts der Tatsache, dass ihr Mann an der Ostfront kämpfte und unter der Voraussetzung, Stillschweigen zu bewahren, kam sie mit einer Ermahnung davon.

Mein Großvater kam im Übrigen nicht zurück, er fiel in den letzten Kriegstagen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Da war meine Mutter gerade mal zehn.


Sabine Anderson

Sabine Anderson berichtet:

Ihr inzwischen verstorbener Mann Gary Anderson hatte während seiner Nachforschungen zum Mord am Haidemer Stöckle nach Verwandten des Piloten gesucht, was sich äußerst langwierig erwies. Schließlich stieß er im Staate Washington an Amerikas Westküste auf Theodore Nielsens Ehefrau Artie und seine Tochter Marcia Ann, die tragischerweise genau am Tag von Theodores Begräbnis geboren wurde. Von Gary Anderson erfuhren die Angehörigen endlich von seinem wahrem Schicksal. Sie hatten ganz selbstverständlich angenommen, Theodore, ihr Teddy, sei, wie viele andere Piloten, im Krieg gefallen.

Dass ein Amerikaner, Dr. Gary Anderson, den Mord an Nielsen erst um das Jahr 2000 „entdeckte“ und akribisch aufarbeitete, erstaunte nicht nur dessen Ehefrau Sabine. Auch Manfred Restle wunderte sich, weshalb kein deutscher Historiker entsprechenden Gerüchten nachgegangen war.

Unausgesprochen hing die Frage im Raum, ob „das Herumwühlen in der Vergangenheit“ für manche Ortsansässige unerwünscht war.


Geschichts- und verantwortungsbewusste Bad Saulgauer Bürger, darunter der Apotheker und ehemalige Stadtrat Claus-Dieter Reinhardt, setzten sich nach Bekanntwerden des Geschehens dafür ein, durch eine Gedenkstätte am Haidemer Stöckle die Erinnerung an das Verbrechen wachzuhalten und Theodore Nielsen posthum eine späte Ehrung zu erweisen. Das Monument wurde 2005 eingeweiht.

Foto: Monika Fischer

Über die Zeremonie erschien ein großer bebilderter Artikel in Nielsens Heimatzeitung The Daily World.

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